Geblitzt – und jetzt? Die Bedeutung des standardisierten Messverfahrens bei Verkehrsordnungswidrigkeiten

Das heutige Ordnungswidrigkeitenverfahren ist vom Begriff des sogenannten standardisierten Messverfahrens geprägt. Immer dann, wenn mit technischen Geräten zum Beispiel Geschwindigkeits-, Abstands- oder Rotlichtmessungen durchgeführt werden, spielt dieser Begriff eine erhebliche Rolle.

Der Begriff ist entwickelt worden durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der ausführt, dass die amtliche Zulassung von Messgeräten und Methoden, ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen systemimmanenten Messfehler (Toleranzwert), dem Zweck diene, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Notwendigkeit einer Sachverständigenbegutachtung und Erörterung im Regelfall freizustellen. Nur, wenn der Einzelfall konkrete Veranlassung hierzu gebe, seien bei diesen Messungen die Fehlerquellen zu überprüfen. Der Bußgeldrichter müsse sich auch nur dann von der Zuverlässigkeit der Messungen überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben seien.

Weiterhin bedeute der Begriff des standardisierten Messverfahrens nicht, dass die Messung in einem vollautomatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren stattfinden müsse, sondern es sei hierunter ein vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen, gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.

Was bedeutet aber die Annahme eines standardisierten Messverfahrens, wenn man Betroffener einer mit einem solchen Gerät durchgeführten Messung ist. Zum einen bedeutet dies, dass grundsätzlich erst einmal davon ausgegangen wird, dass die Messung fehlerfrei ist, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für das Messverfahren eingehalten worden sind, das Gerät gemäß der entsprechenden Bedienungsanleitung bedient worden ist,  ordnungsgemäß gewartet und geeicht worden und dies auch dokumentiert ist, und das Bedienpersonal entsprechend nachweisbar geschult worden ist.

Liegen diese Voraussetzungen vor, kann eine entsprechende Messung nur mit Erfolg angegriffen werden, wenn im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte aufgezeigt werden, die ein Abweichen von einem solchen Regelfall begründen würden. Nur unter dieser Voraussetzung würde sich die Bußgeldbehörde oder das Gericht überhaupt damit auseinandersetzen, ob die Messung möglicherweise trotz Einhaltung obiger Regularien fehlerhaft sein könnte. Um derartige Einwände erheben zu können, ist es für den Betroffenen bzw. seinen Rechtsanwalt notwendig, die konkreten auf den Einzelfall bezogenen Messdaten zu bekommen. Nur anhand dieser Messdaten (auch „Rohmessdaten“ genannt) ist es für einen Sachverständigen möglich, die Messung im Einzelfall technisch nachzuvollziehen und zu überprüfen, ob trotz Einhaltung sämtlicher sonst geforderter Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren eine Fehlmessung vorliegen kann.

Weil dies so ist, hat in einem viel diskutierten Urteil aus dem Jahre 2019 der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes Messungen mit einem bestimmten Messgerät prinzipiell für rechtswidrig erklärt, da dieses Messgerät die Daten, die für eine entsprechende Überprüfung erforderlich sind, schlicht nicht gespeichert hat und insoweit weder dem Betroffenen, dem Verteidiger, noch dem Gericht zur Verfügung gestellt werden konnten. Das Verfassungsgericht war dann der Auffassung, dass, wenn Einwände gegen die Messung überhaupt nicht vorgebracht werden könnten, insoweit dann nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden könne. Dieses Urteil hat allerdings nur eine bindende Wirkung für das Saarland und das betreffende Messgerät. Die Rechtsprechung in der übrigen Republik hat dieses Urteil im Wesentlichen nicht übernommen, sodass man bundesweit aktuell nicht davon ausgehen kann, dass Messungen einzelner Messgeräte allein aufgrund der nicht gegebenen Speicherung von Rohmessdaten als unzulässig angesehen werden.

Dessen ungeachtet dürfte ein Anspruch eines Betroffenen auf Herausgabe der gespeicherten Daten – wenn vorhanden – bestehen, damit diese dann gegebenenfalls sachverständig überprüft werden können. Da viele Behörden sich aktuell auf erstes Anfordern des Verteidigers noch weigern, die entsprechenden Daten herauszugeben, müssen unter Umständen auch Herausgabeanträge bei Gericht gestellt werden. Erst wenn diese Daten verfügbar sind, kann die Messung überprüft und überhaupt mit Erfolg gegen die technische Korrektheit einer Messung (z.B. Höhe der Geschwindigkeit oder Dauer der Rotlichtphase) im Einzelfall vorgegangen werden.

Insgesamt ist es also angeraten, für den Fall, das man mit der entsprechenden Messung nicht einverstanden ist, zunächst durch einen Rechtsanwalt Akteneinsicht nehmen zu lassen um zu überprüfen, ob überhaupt die allgemeinen Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens eingehalten worden sind. Ist dies der Fall kann dann über die Anforderung entsprechender Rohmessdaten versucht werden, die Messung zunächst z.B. durch einen Sachverständigen auf ihre Korrektheit überprüfen zu lassen. Ergeben sich dann Anhaltspunkte für eine Fehlmessung, können diese dann der Behörde oder dem Gericht konkret vorgetragen werden und erst dann muss eine konkrete Einzelfallprüfung erfolgen.